Kaum hatte Marlis Jonas sich häuslich im 18. Stock des Mosch-Hochhauses Ludwigshafen niedergelassen, schoss ihre Fotografen-Karriere wie ein
Senkrechtstarter in die Höhe. Das war zur Jahrtausendwende. Seither residiert und arbeitet sie in schwindelerregender Höhe mit Blick auf Odenwald und Pfalz. Stadtluft macht frei, das sagte man bereits im
Mittelalter. Für Marlis Jonas, das Stadtkind aus dem Ruhrpott, scheint dieses alte Zitat nichts von seiner Gültigkeit verloren zu haben.
Drahtig und wendig mit der Figur eines jungen Mädchens schlängelt sich die 59-jährige Fotografin zwischen den gebauten Nachkriegssünden der BASF-Hochburg
hindurch oder klopft das Ludwigshafener Pflaster nach ungewöhnlichen Motiven ab. Spielende Kinder auf dem Pflaster, Menschen, die kommen und gehen und deren Schatten sich wie ein lästiger Begleiter an ihre Fersen
heftet, Gruppen, die zu- und abnehmend auf Steinen lagern. Das eine oder andere Sujet holt sie von ihrem Balkon mit dem Tele heran.
"Ich fotografiere vieles von zu Hause aus", erfährt man von ihr und das ist in mehrfacher Hinsicht wahr, denn ihr Atelier trennt sie nur um
Armeslänge von ihrem Heim. Für ihre Serie "Stadt im Fluss", mit der sie sich 2005 an den 7. Internationalen Fototagen beteiligte, nahm sie die Hochhaussilhouetten um sie herum in der Dämmerung oder abends
ins Visier. Sie befestigte ihre Nikon D 70 auf einem Stativ und veränderte den Blickwinkel um wenige Zentimeter. Infolge der längeren Belichtungszeit am Abend bildete sich die malerische Wirkung von
Bewegungsunschärfe ab.
Ihr ungetrübter Blick für das Außergewöhnliche erkennt das Wunder der Schöpfung oder seiner Artefakte. Das brachte ihr vor vier Jahren nicht nur den
Publikumspreis der WeldeKunst, sondern jetzt sogar den Regionalpreis 2007 ein, der sich dem Thema "Leben" verschrieben hat. Marlis Jonas steuerte dem Kunstforum des regionalen Brauereiriesen eine Serie mit
dem doppeldeutigen Titel "Volksbanken", aufgenommen in den "Lost Gardens of Heligan", England, bei.
Ihre ersten fotografischen Gehversuche machte die gebürtige Dortmunderin noch als Kunsterzieherin. Eines Tages beschloss sie: "Ich war jetzt lange genug
Lehrerin. Nun will ich nur noch fotografieren!" Sie besuchte die internationale Sommerakademie von Thorsten Goldberg in Berlin. Sprosse um Sprosse auf der schmalen Leiter künstlerischer Fotografie erklomm sie.
Soeben ist ihr erstes Buch "KunstRaumStadt" - Öffentliche Kunst in Ludwigshafen, von ihr fotografiert, mit Texten von Richard W. Gassen, erschienen.
Marlis Jonas spürt die Magie des Alltags in den kleinen Dingen auf oder in scheinbar zufälligen Begegnungen. Ihre unverwechselbare Handschrift: Der Sinn für
grafische Elemente in Stadt und Natur, ein Relikt aus ihrer Zeit als sie technisches Zeichnen unterrichtete: Linien, die dem Verlauf von Stromleitungen und Straßenbahngleisen folgen, knorrig entlaubte Bäume mit
ihrem bizarren Geäst, frisch angelegte Felder, peinlich genau aufgeschichtete Wasserrohre, Stuhlreihen in einer Schule. Als vermöchte diese Ordnung das Chaos des Lebens zu strukturieren, das auch in ihrem Heim und
Atelier keine Chance hat.
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